Ist das deutsche Wahlrecht reformbedürftig?

Eine kurze Bilanz nach über 50 Jahren

 

von Florian Wrobel

 

Mehrheits- –und Verhältniswahl, Erst und Zweitstimme, Direktmandat und Listenkandidat, Hare- Niemeyer, Überhangmandate, Grundmandatsklausel und Sperrklausel. Das deutsche Wahlrecht ist kompliziert hat viele Besonderheiten und Ausnahmen. Es ist vor allem geprägt von dem Prinzip die parlamentarische Demokratie funktionsfähig zu halten und nimmt dabei auch Ungerechtigkeiten in Kauf. Warum sollte es reformbedürftig sein? Ist diese Frage überhaupt wichtig angesichts der schier erdrückenden Probleme die die Bundesrepublik derzeit zu bewältigen hat?

Die Antwort lautet ein klares jein.

Das parlamentarisch repräsentative System hat sich grundsätzlich bewährt. Es leistet uns seit 50 Jahren gute Dienste und wird vielerortens als das beste der Welt gepriesen. Es vereint auf eine fast einmalige Art die Prinzipien von Mehrheits- –und Verhältniswahl und schafft es, große Ungerechtigkeiten, wie etwa im englischen Wahlsystem, das bekanntlich die prozentuale landesweite Stärke einer Partei gar nicht berücksichtigt, zu vermeiden, ohne dabei auf den personellen Charakter einer Wahl zu verzichten. Man spricht deshalb auch von einem personellen Verhältniswahlrecht. Es hat es geschafft, die schlechten Erfahrungen der Weimarer Republik zu vermeiden und das Parlament funktionstüchtig zu halten. Der Bundestag hatte in seiner Geschichte immer klare Mehrheiten und eine funktionsfähige Regierung. War dies, wie etwa 1982, nicht mehr garantiert so gab es einen reibungslosen Übergang zu einer neuen Regierung durch das nahezu einmalige Instrument des konstruktiven Misstrauensvotums.

Das Wahlsystem in der Bundsrepublik ist also in seinen Grundsätzen gut und hier besteht auch kein Anlass zu Reformen.

Warum ist das deutsche Wahlrecht nun dennoch reformbedürftig und in wie weit?

Auch ein grundsätzlich gutes System muss, wenn es nicht dramatisch an Akzeptanz verlieren will, an die Zeit und deren Probleme angepasst werden.

Es gibt einige Gründe warum eine Reform dennoch nötig ist, ohne freilich die Grundsätze des Wahlrechts zu verändern.

 

Beispielsweise die Komplexität und Unübersichtlichkeit des Wahlrechtes. Welcher „normale“ Wähler weiß schon was es beispielsweise mit den Überhangmandaten auf sich hat und wie sie zustande kommen, geschweige denn, dass sie ein verfassungsrechtliches Problem darstellen. Das ist nur eine der Besonderheiten die „der Wähler“ oft nicht verstehet, ja ohne entsprechende Ausbildung auch nicht verstehen kann. Kann ein unverständliches Wahlrecht überhaupt gut und gerecht sein. Es gibt viele Reformvorschläge. Einer von ihnen ist der in der Vergangenheit öfter ins Spiel gebrachte Vorschlag der personalisierten Verhältniswahl mit einer Stimme. Hierdurch würden  Überhangmandate vermeiden werden und das Wählen ein Stück weit einfacher.

Der Vorschlag des Einstimmenwahlrechts führt aber zu einem weiteren vielleicht dem wichtigsten Problem hin. Ist es tatsächlich nötig dem Wähler noch weniger Entscheidungsmöglichkeiten zu geben oder wird gar Umgekehrt ein Schuh daraus. Wäre nicht die zu geringe Einflussmöglichkeit einer der herausragenden Gründe für einen schleichenden Vertrauensverlust in das System?

Beobachtet man die Vertrauenskrise des politischen Systems so kommt man vor allem zu dem Schluss, dass es eine Krise der politische Parteien und zu aller erst ihres Personals ist. Die Parteien verlieren zusehends ihre Rolle als Mittler zwischen Volk und Staat in der sie sozusagen das plebiszitäre Element des politischen Systems darstellten. Sie nahmen Meinungen und Stimmungen aus dem Volk auf und gaben sie in den politischen Entscheidungsprozess weiter.

So werden die Rufe nach einer direkten Beteiligung des Volkes an Entscheidungen, konkret der Ruf nach Volksentscheiden, immer lauter. Dies abzulehnen gibt es viele Gründe (die freilich im Rahmen dieses Textes nicht erörtert werden können). Es seien hier nur die beiden gewichtigsten erwähnt: Die Gefahr des Populismus und der Verlust des Verantwortungsprinzips in der Politik.

Bedenkt man aber welch gewichtige Rolle Parteien bei der Wahl innehaben, indem sie die Wahlen mitorganisieren und wichtiger noch das zu wählende Personal stellen, so wird einem bewusst, dass die Vertrauenskrise in die Parteien schnell zu einer Krise des Wahlsystems werden kann. Es sind durchaus schon Anzeichen dafür zu erkennen, die sich in der immer geringer werdenden Wahlbeteiligung deutlich machen. Dem gilt es zu entgegnen.

Erkennt man die Geringschätzung der Parteien in der Bevölkerung und macht sich bewusst, dass in der Praxis die Hälfte der Bundestagsabgeordneten nicht vom Volk gewählt werden sondern durch die Parteien auf starren Landeslisten nominiert werden wird das Problem überdeutlich.

Die Lösung kann aber nicht eine Aufgabe des Repräsentativsystems hin zu Plebisziten sein. Dafür hat die mittelbare Demokratie zu viele Vorteile und die Direkte, wie schon erwähnt, zu viele Nachteile. Veilmehr gilt es dem Bürger innerhalb des bestehenden Wahlsystems mehr Einfluss zu verschaffen. Am Besten möglich wäre dies indem man die „Macht der Parteien“ über die Listen aufbrechen würde und dem Wähler, ähnlich der Kommunalwahl, die Möglichkeit der Listenbeeinflussung gibt. Und es gibt hierfür Beispiele die sich bewährt haben: Z.B. das bayrische Landtagswahlrecht. Hier ist es möglich einzelne Personen auf einer so genannten lose gebundenen Liste nach vorne zu wählen. So haben auch Kandidaten eine Chance die in der Partei mit Argwohn betrachtet werden, gerade weil sie im „Volk“ gut angesehen sind. Selbst in der bayrischen SPD soll dies ja tatsächlich schon der Fall gewesen sein.

Das diese Reform natürlich bei weitem nicht ausreichend ist um die Akzeptanz der politischen Parteien in der Bevölkerung zu erhöhen ist klar. Es würde aber zumindest die Einflussmöglichkeit des Wählers bei der Bundestagswahl erhöhen und das Vertrauen in das Wahlsystem gestärkt werden.